Warum wir uns autonom organisieren

//Ein Blick auf nicht-autonome Organisationsformen

Die meisten von uns betrachten nicht-autonome Gruppen eher von außen oder nur kurzzeitig von innen und haben daher einen weniger detailreichen Einblick bekommen können. Doch sind die Hierarchien für uns offensichtlich und werden sogar ganz offen nach außen getragen (autonome Organisierungsformen sind auch oft nicht hierarchiefrei, es wird aber meistens nicht gleich auf den ersten Blick klar, dass es welche gibt und wie sie gelagert sind.) Oft verfügen nicht-autonome Gruppen über ein höheres Kontigent an Ressourcen, zumeist in Geldform, einem großen Netzwerk oder einer relativ einflussreichen Wahrnehmung in der Gesamtgesellschaft. Was sie auf der anderen Seite aber unflexibel macht und mit Bedingungen verknüpft ist. Inhalte werden verschleiert oder unkonkret formuliert, um den Geldgeber*innen keinen „Ärger“ zu machen und das Image nicht zu gefährden. Es werden nicht selten höchst fragliche „Bündnisse“ mit Organisationen geschlossen, die selbst ein zentrales Standbein systemisch herrschender Strukturen sind (z.B. mit Parteien¹). Die Konsequenz ist oft eine Abkehr von radikalen politischen Positionen.

//Autonome Organisierung als Unabhängigkeit

Jeder Mensch² ist so individuell und eigen, dass ihm*ihr auf direkter Ebene das Mitspracherecht für das eigene Leben zusteht, was uns jedoch gesellschaftliche Normen und Strukturen systemisch verwehren. Autonome Organisierung heißt für uns daher zuallererst Unabhängigkeit. Unabhängig von eben jenen gesellschaftlichen Normen und auch von ideologischen oder finanziellen Abhängigkeiten. Oft ist die linke Subkultur zu einem Ort geworden, an dem unemanzipatorische Werte und Normen der Allgemeingesellschaft anders verpackt reproduziert werden. So sind die meisten subkulturellen Aktivitäten nicht kostenfrei, nicht barrierearm und somit eine weitere Reproduktion der kapitalistischen Verwertung, wenn auch in einem anderen Kontext und Rahmen. Autonome Gruppen sollten als Konzept die Möglichkeit bieten, für alle Menschen machbar zu sein und Menschen empowern, um sich selbst und anderen eine Stimme verleihen zu können und somit nicht auf hierarchische Strukturen und folglich Entscheidungen vermeintlich „höher“ positionierten Menschen oder Strukturen abzuwarten. Autonom bedeutet auch, sich vor sich selbst und in dem Umfeld, in dem sich die autonome Gruppe befindet, rechtfertigen zu müssen und sich demnach selbst zu reflektieren und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. So können wir am Ende nicht sagen: „Wir sind nur die Basis, wir haben das nicht entschieden“, sondern müssen an uns selbst und unseren politischen Positionen wachsen. Es ist ein Weg der freien Entfaltung, welche in anderen Organisationsformen nicht erreicht werden kann, da es darin Grenzen in Form von Abhängigkeiten und Hierarchien gibt, die sich nicht einfach überwinden lassen.

//Widersprüche der autonomen Organisierung

Und dennoch machen wir die Erfahrung, dass autonom organisiert zu sein viele Widersprüche birgt. So ist es schwer den eigenen inneren Widerspruch zwischen Utopie und Sozialisation zu überwinden. Trotz allem ist es aber auch die einzige Möglichkeit in einer durchstrukturierten Welt, welche auf Autorität, geldbasierendem Wertesystem und der täglichen Verwertung fußt, über das zuvor Angelernte hinauszuwachsen und die eigenen politischen Widersprüche zwischen Sozialisierung und Utopie zu erkennen und im besten Fall zu überwinden. Das bedeutet in der Praxis beständige Selbstreflexion und Eigeninitiative. Darüber hinaus ist es uns wichtig auf Augenhöhe in Gruppen zu arbeiten. Oft existieren in vielen Gruppen Informationshierarchien und soziale Machtgefüge, die leider immer seltener hinterfragt und abgebaut werden. So beobachten wir fatalerweise einen Trend hin zu Kadergruppen mit gewollten Hierarchien, die meist der Profellierung Einzelner dienen. Es bleibt zu vermuten, dass es in Zeiten, in denen autoritäre Herrschaftssysteme Aufwind erleben, logisch erscheint, dass es innerhalb der sogennanten „Linken“ in der BRD einen Bedarf an „starken Persönlichkeiten“ oder „klaren Hierarchien zum Zwecke der Organisierung“ gibt. Doch bewerten wir, als Anarchist*innen, dies als eine gundlegend problematische Annahme. Auch in autonomer Organisierung ist das zunehmend ein Problem. Wir verstehen den Begriff eher als eine Basis zum hierarchiearmen bzw. -freiem Ansatz. Es wäre falsch den Aspekt von Autonomie nicht auch auf die einzelnen Mitglieder der Gruppe zu übertragen. So sollte es innerhalb der Gruppe möglich sein, dass jeder Mensch auch autonom als Teil der Gruppe agieren kann und sollte. Der oft von z.B. diversen Antifagruppen gepflegte Habitus, welcher meist einher geht mit patriarchalen Strukturen, ist dabei nur ein Anzeichen von vielen für die bestehende Problematik der gelebten Hierarchien und wird nur selten kritisch reflektiert. Leider strahlt dies, sowie in viele Lebensbereiche, auch auf autonome Gruppen aus. Uns ist es wichtig autonom zu handeln und Akzente setzen zu können, weswegen wir die autonome Organisierungsform immer anderen vorziehen werden.

//Autonome Organisierung als Intervention

Autonom organisiert zu sein ist für uns die beste Voraussetzung, um unserer politischen Ausrichtung gerecht zu werden. Gerade wenn autoritäre Machtgefüge und Positionen starken Zulauf bekommen, kann dies die einzige politische Antwort darauf sein. Es braucht mehr Liebe zur Selbstbestimmung und freien Entfaltung jeder*s Einzelne*n, um gemeinsam handlungsfähig zu bleiben. Dabei stehen uns feste „Zuständigkeiten“, Machtgefüge und das gegeneinander soziale (Herrschafts-)Positionen verteidigen nur im Weg. Das lähmt uns und legitimiert den ansozialisierten Wunsch nach Autoritäten. Grundlegend finden wir den Ansatz kleine autonome Gruppen in große Strukturen aufgehen zu lassen, wie es postautonome Gruppen praktizieren, problematisch. Oft erhöht das die Barrieren des Zugangs für Menschen, die partizipieren wollen. Außerdem sollte Solidarität nicht darauf aufgebaut sein, welcher Gruppenname unter Aufrufen steht und ob Strukuren aus dem urbanen oder ländlichen Raum kommen. Es sollte um politisch inhaltiche Positionierungen gehen und eine Ressourcenteilung forciert werden, wenn autonome Gruppen ähnliche oder gleiche politische Positionen und Ausrichtungen vertreten. All das sollte auch im weltweiten Kontext gesehen werden und nicht nur im lokalen oder nationalen. Es wird keine Überwindung von Nationen und Grenzen geben, wenn die Grenzen in den Köpfen nicht abgeschafft werden, erst recht nicht, wenn der Horizont wie so oft im „eigenen Kiez“, in der „eigenen Stadt“ oder der BRD endet. Historisch betrachtet dürfen wir nicht den selben Fehler machen wie in der Geschichte. Widerstand gegen autoritäre Strömungen und Ausrichtungen kann nur geschehen, wenn wir weltweit solidarisch vernetzt sind und unsere Ideen miteinander teilen. Erst dann können autonome Gruppen eine wirkliche Intervention leisten, um die herrschenden Zustände zu überwinden. 
 

//Plädoyer für die Autonomie

Autonomie verstehen wir als Zustand der Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Selbstverwaltung und Entscheidungsfreiheit. Uns wurde vieles genommen, oftmals sogar das Vertrauen in uns selbst, in unsere eigene Fähigkeit für uns selbst zu entscheiden als grundlegendes Mittel und uns zustehendes Recht der eigenen Lebensgestaltung, sei es als Gruppe oder Indiviuum. Es bleiben wenig Räume, die uns inspirieren und eine Alternative schaffen, um uns gegenseitig und uns selbst neu zu entdecken, mit all den eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Träumen, die am besten in freier Verbundenheit mit anderen erfüllt werden können, aufbauend auf Gegenseitigkeit und Begegnung, und in keiner Beziehung zu dem stehen, was die kapitalistische Verwertungslogik uns bieten kann. Wir begreifen uns als Wesen der Freiheit. Lasst uns eine selbstbestimmte Gegenbewegung schaffen und erweitern und Räume zurückgewinnen, überall und in jeder Sekunde. Wir wollen damit bei uns selbst anfangen und weitermachen. Nehmen wir uns, was uns zusteht – unser Recht auf Selbstbestimmung!

Daher: Findet Kompliz*innen und bildet autonome Banden!

Viva la autonomía!
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¹Parlamentarische Organisationen stellen in der heutigen Zeit aus unserer Sicht ein Gefüge dar, welches dazu dient staatliche Strukturen und damit den Kapitalismus aufrecht zu halten. Es gibt im Parlamentarismus keine Partei, die ernsthaft das System kapitalistischer Verwertungslogik abbauen oder bekämpfen will. Das wäre ein Widerspruch in sich. Wir sind der Meinung, dass Kapitalismus nicht reformierbar ist. Ein System, deren grundlegende Basis Ausbeutung ist, kann durch keine Reform „gerechter“ oder „freier“ werden. Das könnte nur die radikale Überwindung von Herrschaftssystemen erreichen. Und damit auch die Überwindung von Parteien. Jede Partei profitiert vom bestehenden System, und Menschen, die profitieren, werden wohl kaum den Ast auf dem sie sitzen, absägen. Selbst wenn es z.B. ehrliche Politiker*innen mit ehrlich solidarischen Absichten gebe, stünde das herrschende System diesen im Weg. Ebenso verhält es sich bei allen anderen nicht-autonomen Organisationsformen und ihren profitierenden Akteur*innen.

²auch nichtmenschliche Tiere haben das Recht auf Selbstbestimmung und unterliegen dem kapitalistischen Ausbeutungssystem, weswegen wir diese in unsere Theorie und Praxis einbeziehen.